Zum Thema „Reliquien“ im Zusammenhang des Besuchs der heiligen Bernadette in Deutschland
von Pfarrer Klaus Holzamer, Pilgerseelsorge Lourdes, 24.08.2018
Reliquien
sind vor allen Dingen keine magisch-heidnischen Gegenstände, die aus sich Kräfte freisetzen. Von ihnen geht kein magischer Zauber aus. Heiligenreliquien im christlichem Sinn sind zunächst „Überbleibsel“ derer, die die Kirche als heilig verehrt und anerkannt hat. Im Zuge einer Ablasspolemik lassen sich selbst katholische Autoren heute bisweilen zu einer vermeintlich apologetischen Argumentation verleiten, die beim unbefangenen Leser erst recht eine eher ablehnende Haltung evozieren. Die Kirche hat sich schon früh und ausdrücklich im Jahr 1215 gegen Missbräuche zur Wehr gesetzt, was jedoch falsche Formen der Volksfrömmigkeit nicht von einer magisch-heidnischen Praxis, die es doch zu vermeiden galt, abgehalten hat.
Bei der Verehrung der Reliquie der heiligen Bernadette *) kann und soll es nicht darum gehen, sie zu berühren. Wenn wir die Reliquie im Reliquiar verborgen verehren, kann dieses schon rein praktisch nicht geschehen. Nicht anders verhält es sich z.B. bei der Verehrung der Reliquien der Heiligen Drei Könige im Kölner Dom: Die Gläubigen ziehen in Prozession unter dem Reliquienschrein hindurch.
Reliquien, wie wir sie in der Regel im konsekrierten Altar einer Kirche aufbewahren, erinnern immer an die Menschen, von denen sie ein „Überbleibsel“ sind und die nun ganz mit dem verbunden sind, der uns in der Eucharistiefeier in den verwandelten Zeichen von Brot und Wein begegnet. Das „Reliquiengrab“ in unseren Altären gründet im altchristlichen Brauch, über den Gräbern der Märtyrer das Gedächtnis von Tod und Auferstehung Jesu zu begehen.
Die Besonderheit von Lourdes
Lourdes ist nicht deshalb ein Wallfahrtsort der katholischen Kirche, weil die heilige Bernadette wichtigtuerisch „behauptet“ hätte, ihr sei die Jungfrau Maria erschienen. Damit mögen sich Reiseführer, die in der Regel hinzufügen, dass dieses auch bei Katholiken umstritten sei, begnügen. In dieser schrägen Tonlage, die oft auch von unbedarften kirchlichen Autoren übernommen wird, wird das Geschehen von Lourdes in den Bereich des Hörensagens und der Mutmaßungen verwiesen. Lourdes ist aber gerade deshalb ein Wallfahrts- und Erscheinungsort der Jungfrau Maria, weil er nach intensiver und objektiver Prüfung von der Ortskirche approbiert – bereits 1862 erkennt der Bischof von Tarbes die Echtheit der Erscheinungen offiziell an – und von der Universalkirche mit dem Festtag unserer Lieben Frau von Lourdes (11. Februar) unwiderruflich bestätigt und anerkannt ist.
Im Umgang mit dem Reliquienschrein kann man durchaus auch auf die Wirkung des Wassers aus der Lourdesquelle in der Grotte verweisen. Aber nicht das Wasser der Quelle trägt etwa eine besondere Heilswirkung in sich. Im Verlauf der 18 Erscheinungen erschließt sich uns die Bedeutung der Quelle aus den der Heiligen Bernadette von der „Dame“, d.h. der Gottesmutter, auferlegten symbolischen Handlungen, bevor sie die Quelle freilegt. Sie lassen sich theologisch-geistlich so zusammenfassen: Nur durch Umkehr und Buße gelange ich zur Quelle allen Lebens, zu Jesus. Er allein ist Quelle allen Heils. Im Quell-Wasser der Taufe wird unser Leben in Christus geistlich neu geschaffen.
Die symbolischen Handlungen Bernadettes:
• In Jesus ist das göttliche Wort Fleisch geworden: sein Herabsteigen vom Himmel, seine Menschwerdung symbolisiert das Niederknien der kleinen Bernadette in den Schlamm der Grotte.
• Jesus ist das Paschalamm Gottes (die Bitterkräuter, die Bernadette isst). Er ist der, der als leidender Gottesknecht (das schmutzentstellte Gesicht der Bernadette) die Menschen – letztlich die gesamte Schöpfung aus der Ferne von Gott – geheilt und befreit – zu Gott als Quelle allen Lebens zurückgeführt hat.
Nicht das Quellwasser als solches ist entscheidend. Für sich allein hat es keine Wirkung – so wenig wie das Knochenstück eines verstorbenen Heiligen. Das Lourdes-Wasser ist dann heiligend, wenn es für den Glaubenden auf den deutet, auf den wir getauft sind: auf Jesus, auf seinen Tod und seine Auferstehung. ER allein ist die nie versiegende Quelle des Heils, die im Hier und Jetzt fließt. an diesen Heilszusammenhang will das Lourdeswasser erinnern.
Im Glauben der Kirche ist der Ort aller Gnade das Kreuz: Aus der Seitenwunde Jesu „strömen Wasser und Blut, aus seinem durchbohrten Herzen entspringen die Sakramente der Kirche“ (vgl. Präfation des Hochfestes vom Heiligsten Herzen Jesu).
Wer das Wasser aus der Quelle der Grotte von Massabielle trinkt oder sich darin wäscht – hierzu hat die Gottesmutter nach den von der Heiligen Bernadette bezeugten Worten aufgerufen – wird nicht aufgrund der Qualität des Wassers oder etwa von ihm ausgehenden magischen Wirkungen Heilung erfahren. Heilung und Heil aber dürfen wir erfahren, wenn wir uns mit dem Wasser „waschen“ in Erinnerung an unsere Taufe, in der Bereitschaft zur Umkehr und Hinkehr zu Jesus, unserem Herrn und Heiland. Es ist eine Handlung aus dem Glauben, ganz konkret mit Bezug auf das Wasser unserer eigenen Taufe. Hier gilt das, was durch das Wort des Propheten Elischa an Naaman im Jordan bei seiner Heilung geschah: Es ist Zeichen der Gnade Gottes, der an den Menschen handelt und so in ihnen den Glauben bewirkt (vgl. 2 Kön.5). – Auch Jesus verweist die Geheilten auf die Kraft des Glaubens: Dein Glaube hat dich gerettet (so Mt 9,22 Mk 10,52, Lk 7,50 etc.).
Konkret begegnet uns im Reliquienschrein der heiligen Bernadette ein „Überbleibsel“, eine Reliquie von ihr. Sie bringt uns der Heiligen nahe, die am 8. Dezember 1933 heiliggesprochen und damit als Fürsprecherin universal angerufen und verehrt wird. Es ist also alles andere als ein heidnisch-magisches Gebaren, wenn wir ihren Reliquienschrein zur Verehrung empfangen, und schon gar nicht abergläubisches Verlangen. Es ist unser Taufglaube, der uns zur Begegnung mit Bernadette führt. Sie durfte auf Weisung der Gottesmutter letztlich nichts anderes entdecken als die Quelle unseres Lebens: Jesus Christus – und in ihm das gnädige Handeln Gottes an uns.
„Sie sei wie ein Vergrößerungsglas, indem sie die glorreichen Strahlen von Gottes Gnade bündele. (Thomas von Aquin s.u.) 1
*) Bernadette wurde am 3. April 1909 bei der ersten Inaugenscheinnahme, danach am 3. April 1919 vor ihrer Seligsprechung (1925) und zum dritten Mal am 18. April 1925 im Zuge ihrer Heiligsprechung (1933) exhumiert bzw. umgebettet. 1925 wurden ihrem Leichnam 3 Rippen und Hautflächen entnommen. Hiervon befinden sich Teile in einem versiegelten und festlich verpackten Behältnis im Reliquienschrein.
Zum Thema aus katholisch.de
1 Reliquien „heilige Überbleibsel“ von Sophia Michalzik, Bonn – 09.04.2015 auf katholisch.de Siehe
VORBEMERKUNG:
Zunächst darf ich mich im Namen aller aus Lourdes mit dem Reliquienschrein angereisten Geistlichen und den Gründungsmitgliedern der deutschen Hospitalite für den überaus herzlichen Empfang hier in Kevelaer bedanken. Mit Lourdes und Kevelaer begegnen sich zwei bedeutende Wallfahrtsorte, die zu
Kristallisationspunkten des katholischen Glaubens geworden sind. Zwei Marienwallfahrtsorte, an denen sich im Verlauf der Jahre schon unzählige Gläubige auf der Pilgerschaft ihres Lebens begegnet sind.
Es hätte also zum Auftakt des Besuchs des Reliquienschreins der heiligen Bernadette, kein geeigneterer Ort in Deutschland sein können und doch ist der Anlass unser Begegnung kein blinder Zufall. Der Besuch des Reliquienschreins der heiligen Bernadette findet anlässlich des 25-jährigen Gründungstages der
deutschen Hospitalite statt. Das Bistum Münster ist der Ort der kanonischen Errichtung der deutschen Hospitalite Unserer Lieben Frau von Lourdes mit mittlerweile 400 Helferinnen und Helfer, die sich dem Dienst an den Kranken und Pilgern in Lourdes widmen. Was aus der freundschaftlichen Begegnung
einiger junger Menschen aus Deutschland in Lourdes seinen Anfang nahm, findet morgen am 8. September mit der Jubiläumsfeier im Münsteraner Dom seine Würdigung.
BEGEGNUNG MIT DEN RELIQUIEN DER HEILGEN BERNADETTE
Wenn sich Menschen begegnen, wahrhaft begegnen und nicht nur an der Oberfläche haften bleiben, verändert sich ihr Leben!
• Das erzählt uns unsere jeweils eigene Lebenserfahrung und davon handelt
unser Glaube, der aus der Begegnung Gottes mit seinen Geschöpfen lebt.
In der Zeit nach dem Zusammenbruch und Schrecken des 2. Weltkrieges, hatten sich viele als Antwort auf die Ideologien der Massenbewegungen und der alles unterwerfenden totalitären Weltanschauungen dem Existentialismus zugewandt. Man wollte frei sein und doch führte diese Ideologie zu einer neuen Form der Unterwerfung, dessen Spätfolgen in unserer Zeit der französische Schriftsteller Michel Houellebecq so beschreibt: die Menschen seien „hypnotisiert vom Geld oder vom Konsum“ und weiter: „Noch willenloser
sind sie ihrem Drang ausgeliefert, sich zu beweisen, sich einen beneidenswerten Platz in einer Gesellschaft des – wie sie denken und hoffen – Wettbewerbs zu erkämpfen, elektrisiert von der Anbetung austauschbarer Ikonen: Sportler, Modedesigner, Internetkreative, Schauspieler, Models.“
Gerade der nach Individualität strebende Mensch wird austauschbar und verliert seine Einzigartigkeit. Könnte man etwa das Gnadenbild Unserer Lieben Frau von Luxemburg hier in Kevelaer durch ein abstraktes Bild ersetzten? Der Mensch, der nur noch aus der Erfahrung und dem Genuss des Augenblicks, ohne Zukunft und Blick auf Gott existieren möchte, wird sich an sich selbst verlieren. Das erkannte schon in den frühen 50er Jahren der französische Denker Gabriel Marcel. Er stellte dem Entwurf eines gottfernen Existentialismus mit seinem radikalen Freiheitsbegriff die Begegnung mit Gott entgegen, der mit den Menschen den Dialog sucht. Unsere gefährdete Freiheit wird in der Anschauung des christlichen Personalismus Marcels nur durch Liebe und Hoffnung vor Egoismus und Selbstzerstörung bewahrt.
Unsere Verbundenheit und Begegnung mit Gott, wird zum Garant unserer wahren Freiheit, wie sie uns stets in den Freunden Gottes, den Heiligen aufleuchtet. Marcel beschreibt in einem Metapher, der mich seit frühen Studientagen fasziniert, die existentielle Begegnung zwischen Personen mit dem Duft einer Rose: Das Wesen einer Rose erkenne man in seiner letzten Tiefe erst beim Einatmen ihres betörenden Duftes. Und dieses geschehe immer nur für einen kurzen Augenblick, ehe er sich uns wieder entzieht. Doch diese
Wahrnehmung der Sinne gibt uns Gewissheit über die wahre Existenz des Andern. Ähnlich muss es den Jüngern von Emmaus ergangen sein, als sie Jesus beim Brechen des Brotes erkannten, ehe er sich ihren Augen entzog.
So erging es auch einer Mutter Theresa, die sich nach diesem einzigen und kurzen Augenblick der Begegnung mit Gott im Gebet ihr ganzes weiteres Leben zurücksehnte – und der ihr dennoch genügte, ihr Leben im Dienst der Ärmsten der Ärmsten aus Liebe zu Gott zu verschwenden. Gerade in ihrer Treue und
Hingabe leuchtet in der Heiligen die wahre Freiheit der Freunde Gottes auf!
Schon Begegnungen zwischen Menschen, die in die Tiefe gehen, berühren das Herz – vorausgesetzt, wir sind in der Lage und bereit unser Herz zu öffnen. Nur so kann Vertrauen und Glaube gelingen, nur so kann die Hoffnung einen festen Grund finden. Und nur so kann die Liebe, die den Egoismus überwindet und
bereit ist, sich im Anderen zu verschwenden, zu sich selbst finden und erblühen. Glaube, Hoffnung, Liebe diese drei, am größten unter ihnen ist die Liebe. – Und deren Maß wiederum ist die Liebe, mit der uns Gott zuerst geliebt hat: „Es gibt keine größere Liebe, als dass einer sein Leben hingibt für seine
Freunde.“ Joh 15,13
Als Diener Christi soll man uns betrachten und als Verwalter von Geheimnissen Gottes. (1 Kor 4,1) Dieser Auftrag steht im Dienst des ewigen Planes Gottes seit Erschaffung der Welt, so Paulus. Der Kreuzestod Jesu, der sein Leben für seine Freunde dahingabt, ist der Höhepunkt der Begegnung Gottes mit seinen
Geschöpfen in der Heilsgeschichte, jedoch nicht ihr Ende. „wartet, bis der Herr kommt, der das im Dunkeln Verborgene ans Licht bringen und die Absichten derHerzen aufdecken wird.“ 1Kor 4, 5b
• Zu diesem Ziel des geöffneten Himmels sammelt und ruft Gott die
Menschen. Er, der sich auf den Weg gemacht hat und die Verlorenen sucht,
geht mit uns diesen Weg durch die Zeit, der Zeit der pilgernden Kirche, auf
ein großes Ziel hin, das uns in Maria so wunderbar aufleuchtet.
Dazu hat die Jungfrau Maria in Lourdes durch die Botschaft, die Bernadette den Priestern, – den Dienern der Kapelle – auszurichten hatte, aufgerufen. Sagen sie den Priestern, man möge hier eine Kapelle bauen und hierher in Prozession kommen.
Die 18 Erscheinungen in Lourdes sind eine Geschichte der Begegnung zweier junger Frauen. Eine Begegnung, die zunächst einem unscheinbaren und kränklichen Mädchen aus einer verarmten Familie am Rande der Gesellschaft galt. Sie wird immer mehr zu einer Begegnung, in der Bernadette immer tiefer
in das Geheimnis der Erlösung durch die Mutter es Erlösers hineingeführt wurde.
Bei ihrer 18. und letzten Begegnung mit „der Erscheinung“, sieht Bernadette in der Tiefe ihres Herzens in Maria den Zustand des neuen Menschen, die Schönheit der Unbefleckten Empfängnis: „Nie hab ich sie schöner gesehen!“ Ja, ich habe sie wirklich gesehen, wird sie noch nach Jahren des Leidens unter
ihrer Krankheit und der Zweifel und Anfeindungen, denen sie ausgesetzt war, sagen. Die Umstehenden der 18. Erscheinung sehen dieses Geschehen nicht. Doch wie bei den Erscheinungen zuvor, sehen sie das blasse Gesicht, der im Rosenkranz verweilenden Beterin plötzlich aufstrahlen, wobei es die
Schönheit des Geschauten widerspiegelt. Es war das letzte Mal in ihrem Leben, dass Bernadette, wie beim Duft einer Rose, dem Himmel so nahe kam und die Gottesmutter geschaut hat. Doch nicht durch die 18 Erscheinungen, sondern durch ihr Lebenszeugnis der Hingabe in der Pflege der Kranken, durch
ihre Nachfolge in Armut, Keuschheit und Gehorsam im Leben als Nonne, ist Bernadette zu der geworden, die wir heute in ihren Reliquien verehren.
Als 35-jährige starb sie im Kloster von Nevers. Zuvor hatte sie gebeten jedes Bild und den kärglichen Schmuck aus ihrem Zimmer zu entfernen. Nur dem Kreuz Christi wollte sie nahe sein. Einst hatte sie in ihrem „Gebet einer armen Bettlerin“ vermerkt: Jesus, Maria, das Kreuz, ich brauche keine anderen
Freunde als diese. In ihrer Hingabe leuchtet in der Heiligen die wahre Freiheit der Freunde Gottes auf!
Den Heiligen, die wir ihren Reliquien verehren, dürfen wir unsere Sorgen und Nöte zur Fürsprache bei Gott wie unter Freunden anvertrauen. In der Begegnung mit der Reliquie der heiligen Bernadette werden bei vielen die Erinnerungen an Menschen, die uns in Lourdes als Kranke und heilsuchende Menschen begegnet sind, wach. Bei nicht wenigen werden es gewiss auch Erinnerungen an die Gesichter der Kranken die uns dort anblickten oder an die Begegnungen und Erfahrungen des eigenen Heilseins im Angesicht des
geöffneten Himmels an der Grotte zu Lourdes sein.
Gott, so Thomas von Aquin, wirke in der Reliquie Wunder. Sie sei wie ein Vergrößerungsglas, indem sie die glorreichen Strahlen von Gottes Gnade bündele.
Mögen die vielen Gläubigen in den kommenden Tagen und Wochen bei Gebet und Gesang zum Lobpreis Gottes diese heilsame Erfahrung bei ihrer Begegnung mit dem Reliquienschrein der heiligen Bernadette empfangen.